Keine Angst vor der LMIV
Buh! Die neue Lebensmittel-Informationsvorschrift, kurz LMIV, der Europäischen Union (EU-Verordnung Nr. 1169/2011) tritt in Ende 2014 in Kraft. – Bevor jetzt Panik beim Speisekarten erstellen ausbricht (wie an manchen Stellen im Web schon geschehen), erstmal in Ruhe durchlesen und herausfinden, was der normale Feld-, Wald- und Wiesen-Gastronom davon hat:
Zitate aus der Verordnung (Fettungen von mir):
Artikel 1, Absatz 3: Diese Verordnung gilt für Lebensmittelunternehmer auf allen Stufen der Lebensmittelkette, sofern deren Tätigkeiten die Bereitstellung von Information über Lebensmittel an die Verbraucher betreffen. Sie gilt für alle Lebensmittel, die für den Endverbraucher bestimmt sind, einschließlich Lebensmitteln, die von Anbietern von Gemeinschaftsverpflegung abgegeben werden, sowie für Lebensmittel, die für die Lieferung an Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sind.
Aha, wenn man denn weiß, wer „Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung“ ist:
Artikel 2, Absatz 2, Buchstabe d: „Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung“ Einrichtungen jeder Art (darunter auch Fahrzeuge oder fest installierte oder mobile Stände) wie Restaurants, Kantinen, Schulen, Krankenhäuser oder Catering-Unternehmen, in denen im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit Lebensmittel für den unmittelbaren Verzehr durch den Endverbraucher zubereitet werden;
Ok, demnach besteht Informationspflicht in der Gastronomie wie folgt:
(1) Schreibt das Lebensmittelinformationsrecht verpflichtende Informationen über Lebensmittel vor, so gilt dies insbesondere für Informationen, die unter eine der folgenden Kategorien fallen:
a) Informationen zu Identität und Zusammensetzung, Eigenschaften oder sonstigen Merkmalen des Lebensmittels;
b) Informationen zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher und zur sicheren Verwendung eines Lebensmittels. Hierunter fallen insbesondere Informationen zu
i) einer Zusammensetzung, die für die Gesundheit bestimmter Gruppen von Verbrauchern schädlich sein könnte;
ii) Haltbarkeit, Lagerung und sicherer Verwendung;
iii) den Auswirkungen auf die Gesundheit, insbesondere zu den Risiken und Folgen eines schädlichen und gefährlichen Konsums von Lebensmitteln;
c) Informationen zu ernährungsphysiologischen Eigenschaften, damit die Verbraucher — auch diejenigen mit besonderen Ernährungsbedürfnissen — eine fundierte Wahl treffen können.
Hier könnte die Deklarationsfetischisten schon mal vorab in Jubel ausbrechen, aber bitte nicht zu früh freuen:
Artikel 12, Absatz 5: Im Fall von nicht vorverpackten Lebensmitteln gelten die Bestimmungen des Artikels 44.
In dem es dann zu nicht vorverpackten Lebensmitteln (dem Normalfall in der Gastronomie) heißt:
Artikel 44, Absatz 1: Werden Lebensmittel Endverbrauchern oder Anbietern von Gemeinschaftsverpflegung ohne Vorverpackung zum Verkauf angeboten oder auf Wunsch des Verbrauchers am Verkaufsort verpackt oder im Hinblick auf ihren unmittelbaren Verkauf vorverpackt, so
a) sind die Angaben gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c verpflichtend;
b) sind die Angaben gemäß den Artikeln 9 und 10 nicht verpflichtend, es sei denn, die Mitgliedstaaten erlassen nationale Vorschriften, nach denen einige oder alle dieser Angaben oder Teile dieser Angaben verpflichtend sind.
Was denn nun? Zur Sicherheit hier Artikel 9, Absatz 1, Buchstabe c:
Artikel 9, Absatz 1, Buchstabe c: alle in Anhang II aufgeführten Zutaten und Verarbeitungshilfsstoffe sowie Zutaten und Verarbeitungshilfsstoffe, die Derivate eines in Anhang II aufgeführten Stoffes oder Erzeugnisses sind, die bei der Herstellung oder Zubereitung eines Lebensmittels verwendet werden und — gegebenenfalls in veränderter Form — im Enderzeugnis vorhanden sind und die Allergien und Unverträglichkeiten auslösen;
Da haben wir also wieder die klassischen Zusatzstoffe (inklusive Allergene). Ergo: Keine wirkliche Veränderung zu heute.
Aber da gibt es ja auch noch den „Gummiparagraphen“:
Artikel 4, Absatz 2: Bei der Prüfung, ob verpflichtende Informationen über Lebensmittel erforderlich sind, und um Verbraucher zu einer fundierten Wahl zu befähigen, ist zu berücksichtigen, ob ein weit verbreiteter, eine Mehrheit der Verbraucher betreffender Bedarf an bestimmten Informationen besteht, denen sie erhebliche Bedeutung beimessen, oder ob Verbrauchern durch verpflichtende Informationen nach allgemeiner Auffassung ein Nutzen entsteht.
Und spätestens jetzt würde ich mich als Gastronom ganz entspannt zurücklehnen und abwarten, was die Rechtsprechung in den kommenden Monaten für weitere Stilblüten treibt. Denn was eine „Mehrheit der Verbraucher“ ist, lässt sicherlich hinreichend Spielraum für die Rechtsverdreher.
Zwei Kommentare:
[ Trackback: Immer wieder schön – einfache Karten ] Ich freue mich immer sehr, wenn ich solche Kleinode (im wahrsten Sinne des Wortes) entdecke:
[ Trackback: LMIV in Deutschland – na, und? ] Mittlerweile sind ein paar Monate nach Inkrafttreten der neuen LMIV ins Land gegangen. Und: Niemand hat es gemerkt. – Wirklich niemand? Was ist aus all den Bedenkenträgern des letzten Jahres geworden? Versuch einer Bestandsaufnahme …